„Wie kann ich denn zu Hause für etwas Struktur in meinem Alltag sorgen?“
Prof. Wälte: „Ich muss mal kurz innehalten, um in die Situation eines Studierenden zu Hause einzutauchen: Vielleicht erlebe ich es ja in den ersten Tagen sogar als Erleichterung, wenn ich nicht so früh am Montag aufstehen muss, um in die Vorlesung um 8.15 Uhr zu gehen. Vielleicht kommen mir auch Gedanken, dass ich mich mal so richtig ausschlafen kann und dass das in dieser Zeit sicher auch gut für meine Gesundheit ist. Meine Studienarbeiten könnten ja auch noch später am Tag erledigt werden.
Vielleicht merke ich aber schon nach einigen Tagen, dass alle Aktivitäten sich immer weiter nach hinten verschieben. Das wäre ja vielleicht gar nicht so schlimm, wenn ich nicht allmählich feststellen würde, dass ich immer weniger für das Studium schaffe. Die Alltagsstruktur, die mir bei normalem Studienbetrieb immer so gutgetan hat, also mit den regelmäßigen Vorlesungs- und Seminarzeiten, den Treffen mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen, Essen in der Mensa, Arbeitseinheiten am Schreibtisch zu Hause, Treffen mit Freundinnen und Freunden am Abend, fehlt mit jetzt ganz einfach. Ich hocke in meiner Bude und die Arbeit fürs Studium und Freizeitaktivitäten vermischen sich unter Umständen zu einem Knäuel, begleitet von dem unangenehmen Gefühl, weder richtig zu arbeiten noch richtig Freizeit zu erleben.
Das miese Gefühl, das sich jetzt vielleicht in mir hochschleicht, sollte nun kein Anlass sein, mich abzuwerten nach dem Motto ‚Da kann man doch mal wieder sehen, dass ich nichts hinbekomme.‘ Stattdessen sollte ich mir sagen, dass mein unangenehmes Bauchgefühl mir als Freund zur Seite steht und mir sagt, dass ich etwas an meiner Struktur im Alltag verändern muss, um wieder zufrieden zu sein.
Aber wie kann das gelingen? Zunächst sollte ich mir in Erinnerung rufen, dass wir Menschen irgendwie ‚Gewohnheitstiere‘ sind, die einen Rhythmus im Leben benötigen. Dieser Rhythmus ist plötzlich und unerwartet durch die Corona-Krise und die damit einhergehenden Einschränkungen ganz plötzlich unterbrochen worden. Es darf sein, dass ich mir die Zeit nehme, die ich benötige, um aufgrund der veränderten Lebensumstände wieder Struktur in meinen Alltag zu bekommen. Und ich glaube auch, dass es auch anderen Studierenden so geht wie ich es zurzeit empfinde.
Ich nehme mir schon mal vor, dass ich über meine Situation mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen spreche. Dann werde ich sicher merken, dass ich nicht der einzige Mensch auf der Welt bin mit diesen Problemen. Ich nehme mir vor, dass ich mir einen (Stunden)plan über den Ablauf des Tages mache und mich dabei an den Seminar- und Vorlesungszeiten orientiere, die ich beim normalen Studienbetrieb hätte. Ich stehe pünktlich auf und nehme mein Frühstück ein wie gewohnt. Wenn ich alleine in meiner Bude wohne, verabrede ich mich (z.B. über Skype) zum Frühstück mit Personen, die ich mag. Vielleicht sind das ja auch Kommilitoninnen oder Kommilitonen aus meinem Studium. Wäre ja mal ganz lustig zu sehen, wie die anderen so frühstücken.
Nach dem Frühstück nutze ich die Zeiteinheiten für das Studium als wäre ich an der Hochschule. Nach einer Stunde Arbeit mache ich eine Pause nach Bedarf von 5-10 Minuten, arbeite wieder eine Stunde und gönne mir eine Pause von 15 Minuten. Vielleicht nutze ich die Zeit dafür, Musik zu hören und/oder etwas Sport zu treiben. Nun kann ich ja mittags nicht in die Mensa gehen, vielleicht hilft mir ja dann ein Treffen via Internet (z.B. Skyp) zum Mittagessen. Vielleicht finde ich ja auch eine Person, mit der ich mich draußen im Park (mit vorgeschriebenem Sicherheitsabstand) zum Essen treffen kann. Alleine Essen macht ja nicht so viel Spaß. Entsprechend meinem Plan wende ich mich nach dem Mittagessen wieder meinem Studium zu, wieder mit dem Ablauf (eine Stunde Arbeiten, 5-10 Minuten Pause, wieder eine Stunde arbeiten, dann 10-15 Minuten Pause, usw.).
Zum Abend sollte ich mir irgendeine Verabredung zu einem Telefonat, zu einem Meeting via Skype oder andere mediale Interaktionsformen arrangieren. Und ich sollte nicht vergessen, dass ich permanenten Austausch über mein Studium mit anderen Personen brauche, die Verständnis für meine Situation aufbringen. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, dass ich Lerngruppen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen aufmache, mit denen ich gemeinsam das (virtuelle) Seminar besuche. Mit dem Handy kann ich eine App nach eigener Wahl einrichten, über welche die Arbeitsgruppe kommunizieren kann. In der Regel kennen die Dozentinnen und Dozenten die E-Mail-Adresse der Seminarteilnehmer/innen. In welcher Form auch immer ich mit den anderen Seminarteilnehmern Kontakt aufnehme, werde ich einen regen Austausch benötigen, damit man sich gegenseitig aufbaut und motiviert. Die Leute, mit denen ich in einem Boot sitze, können mich vielleicht am besten verstehen.
Und schließlich zum Thema ‚Aufbau einer Struktur‘: In einer Zeitschrift hat mal ein Psychologe geschrieben, dass es am Anfang richtig schwer sein kann, in einen neuen Alltagsrhythmus zu kommen und den inneren ‚Schweinehund‘ zu überwinden. Gut zu wissen, dass ich mit diesem Problem nicht alleine bin. Ich packe das schon.“