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Einsam im Homeoffice waren in diesem Jahr nicht nur Studierende.
Einsam im Homeoffice waren in diesem Jahr nicht nur Studierende.

„Einsamkeit ist kein Zeichen von Schwäche“: Psychotherapeut Dieter Wälte im Interview

Der harte Lockdown um die Weihnachtszeit kann für viele Menschen psychologisch besonders schwer zu verkraften sein. Was tun, wenn Einsamkeitsgefühle überhand nehmen? Wir haben mit Professor Dr. Dieter Wälte, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle, über die Folgen des Lockdowns für die Seele und mögliche Lösungsstrategien in der dunklen Jahreszeit gesprochen.

Wie ist die Pandemie und der erste Lockdown von Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Psychosozialen Beratungsstelle wahrgenommen worden?

Prof. Dr. Dieter Wälte: Die Studierenden haben sich im ersten Lockdown in unserer Beratungsstelle weniger gemeldet als sonst. Und das ist nicht nur bei uns, sondern auch bei den Beratungsstellen an anderen Universitäten und Hochschulen so gewesen. Viele Menschen waren in einer Art Schockstarre. In dieser ersten Isolationsphase kamen ganz neue Sorgen und Gedanken hoch, mitunter ganz reale Existenzängste. Die meisten hatten in heller Aufregung wenig Zeit, um die Geschehnisse emotional tiefer zu verarbeiten. Nach einiger Zeit haben sich die Studierenden auch an unserer Hochschule wieder bei uns in der Psychosozialen Beratungsstelle gemeldet.

Welche Hauptprobleme haben sich entwickelt?

Einsamkeitsgefühle und Isolation sind Kernprobleme. Bei Menschen, die vorher schon Depressionen hatten, sind die Symptome um einiges stärker geworden. Vor allem bezieht sich das auf die Studierenden, die in Singlehaushalten leben oder vielleicht gerade erst hergezogen sind und noch nicht so viel Kontakt zu anderen aufnehmen konnten. Normalerweise beginnt mit dem Studienstart ja eine Phase der Enkulturation, das selbstverständliche Hereinwachsen in die neuen Lebensbezüge des Studentenlebens. Dieses fällt gerade fast vollständig weg und wir bekommen in der Psychosozialen Beratungsstelle die Folgen davon direkt mit.

Was heißt das?

Wir sprechen von einer Art Desillusionierung. Die Studierenden sind an einer Präsenzuni eingeschrieben, aber alles fühlt sich nach Fernuni an. Die Erstsemester sind in einer neuen Phase in ihrem Leben. Zum ersten Mal studieren bedeutet sich vom Elternhaus ablösen. Besonders für die Entwicklung hin zum Erwachsensein ist diese Zeit elementar – und wird in vielen Fällen jetzt aufgehalten, weil die Studierenden oftmals wieder nach Hause gehen und somit die Entwicklung eher rückläufig ist. Das sollte in dieser Situation nicht als schlimm empfunden werden, weil es der Pandemie zuzuschreiben ist.

Was empfehlen Sie?

Man sollte versuchen neue Kontakte zu knüpfen. Digital oder eben unter gegebenen Schutzbedingungen in kleinen Treffen. Was ich Studierenden ebenso raten kann ist das intensive Aufbauen von Kontakt zu den Lehrenden. Oft werden die Studierenden mit Angeboten der Lehrbeauftragten überhäuft aus dem Wunsch heraus, den Studierenden etwas zu bieten. Das kann jedoch den Studierenden ungewollt überfordern. Auf der anderen Seite bekommt man als Dozent oder Dozentin nicht allzu oft Feedback, um diese Gefühle zu verhindern.

Muss ich mich komisch fühlen, wenn ich gut mit der Situation umgehe oder ich das Gefühl habe, dass mir diese Situation gerade den Boden unter den Füßen wegreißt?

Einsamkeits- und Isolationsgefühle sind kein Zeichen von Schwäche. Viele neigen dazu sich zu sagen, dass andere das viel besser hinbekommen als man selbst. Diese Gefühle zeigen aber eher zwei Dinge: zum einen hat man ein psychologisch betrachtet ganz normales Bindungsbedürfnis und zum anderen ist es ein Zeichen dafür, dass das Gehirn richtig funktioniert und Alarmsignale sendet, wenn Kontakte fehlen. Einsamkeitsgefühle sind also eigentlich nur ein Zeichen, dass man bindungsfähig ist und das Gehirn in Takt ist. Und wenn Ihnen diese ganze Isolation nicht so viele Negativgefühle bereitet, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Sie bereits ein gutes Maß an Kontakt halten.

Haben Sie Tipps für die Studierenden?

Treffen Sie sich zum Beispiel digital, um gemeinsam zu frühstücken. Eine Struktur im Alltag ist essenziell. Wenn man gerade neu in der Stadt ist oder noch nicht so viele Kontakte im Studium geknüpft hat, spricht auch nichts dagegen, die Kontakte zu nutzen, die man bereits vor dem Studium geknüpft hat. Man kann und sollte sich bei den Bekannten und Familienangehörigen melden, bei denen man sich normalerweise nicht unbedingt melden würde. Wem das digitale Treffen nicht reicht, der kann sich auch zu Spaziergängen draußen verabreden. Für das universitäre Umfeld sind digitale Arbeitsgruppen definitiv eine gute Chance für sozialen Kontakt. Loggen Sie sich da ruhig öfter ein, auch wenn kein Dozent dabei ist.

Also lieber per Zoom zuhause abhängen als alleine?

Was viele unterschätzen ist das persönliche Auftreten in Zoom-Veranstaltungen. Viele Studierende lassen nicht selten ihre Kameras aus und verbergen sich so hinter schwarzen Kacheln. Aber auch hier kann man das Gemeinschaftsgefühl stärken, wenn man sich mit Bild zeigt. Beim letzten Zoom-Meeting hat es meine Lehrmotivation erheblich gesteigert, weil alle ihre Kamera anhatten. Natürlich sollte sich niemand gezwungen fühlen. Aber es könnte wirklich positive Auswirkungen auf ein Gemeinschaftsgefühl in einem Webinar haben.

Haben Sie ein paar Tipps für die Weihnachtszeit?

Weihnachten sollte man möglichst nicht allein verbringen. Ähnlich wie mit dem generellen Kontakt, sollte man ruhig mutig sein und Leute ansprechen. Auf der anderen Seite hockt man in diesem Jahr an Weihnachten aber auch dichter aufeinander und kann schwieriger aus den als vielleicht zu eng empfundenen Situationen fliehen. Da möchte ich gern einen Aphorismus von Schoppenhauer sinngemäß einfließen lassen: Wir Menschen sind wie Stachelschweine. Kommen wir uns zu nah, stechen wir uns gegenseitig. Sind wir zu weit voneinander entfernt, können wir nicht mehr miteinander kuscheln. Wir empfinden ein permanentes Dilemma zwischen Nähe und Distanz und das wird gerade nochmal zugespitzt.

Gibt es Angebote der Psychosozialen Beratungsstelle, die die Studierenden wahrnehmen können?

Wir arbeiten momentan genauso wie die meisten anderen Beratungsstellen in Deutschland: eingeschränkt. Normalerweise bieten wir Präsenzberatung an. Das ist seit dem ersten Lockdown leider nicht mehr möglich. Wir haben uns aber sofort Diensthandys besorgt und die Beratung nahtlos weiterlaufen lassen – nur eben telefonisch. Der Plan für die Zukunft ist es, möglichst schnell Videokonferenzen anbieten zu können. Hier arbeiten wir gerade sehr eng mit dem Datenschutz zusammen, damit auch beim Einsatz von Videotools alles sicher ist.