Im Jahr 2025 jährt sich das Ende des Nationalsozialismus zum 80. Mal. Mit der Ringvorlesung wollen wir an die Verstrickung Sozialer Arbeit in das Herrschaftssystem des NS-Staates und ihre Beteiligung an den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus erinnern. Profession und Disziplin haben sich in allen Handlungsfeldern aktiv und (meist) bereitwillig an der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung derjenigen beteiligt, die nicht mehr Teil der sogenannten „Volksgemeinschaft“ sein sollten. Dabei konnten sie auf Denkweisen, Handlungslogiken und Praxen zurückgreifen, die lange vor dem Jahr 1933 zum üblichen Handlungsrepertoire Sozialer Arbeit gehörten – und dies auch nach 1945 blieben. In der Vorlesungsreihe wollen wir daher auch nach den historischen Voraussetzungen und Entstehensbedingungen sowie den Nachwirkungen dieses „Mit-Tuns“ der Sozialen Arbeit fragen und den Blick damit auf grundlegende Themen der Sozialen Arbeit lenken. Reflektiert werden soll in dieser über die politischen Zäsuren von 1933 und 1945 hinausweisenden Perspektive zudem die Frage, wie sich die Soziale Arbeit aktuell und zukünftig zu antidemokratischen, autoritären und menschenfeindlichen Entwicklungen sowie eigenen Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen positionieren kann.
Abstract
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Entwicklungen während der NS-Diktatur war lange Zeit kein Thema für die Soziale Arbeit. Dies änderte sich erst mit den wegweisenden Studien und Debatten der frühen 1980er Jahre. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben seitdem gezeigt, dass die Soziale Arbeit nach der Machtübertragung fester Bestandteil des NS-Staates blieb und ihre Vertreter:innen sich auf allen Ebenen und in allen Arbeitsfeldern aktiv und meist widerspruchslos an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligten. Dabei konnten sie sich auf Denkweisen, Strukturen und Handlungslogiken stützen, die lange vor 1933 zum Kern Sozialer Arbeit gehörten – und vielfach auch nach 1945 bestehen blieben. Ausgehend von der Verortung Sozialer Arbeit in der Herrschaftsarchitektur des NS-Staates rekonstruiert der Vortrag die historisch-kritische Aufarbeitung der NS-Geschichte seit den 1980er Jahren. Skizziert werden zentrale Themen, Perspektiven und Befunde ebenso wie Desiderate, Kontroversen und offene Fragen der Forschung. Darüber hinaus schlägt der Vortrag einen Bogen zu den folgenden Beiträgen der Ringvorlesung.
Dr. Sven Steinacker, Jg. 1969, arbeitet als Professor für Theorie und Geschichte Sozialer Arbeit an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Zu seinen historischen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten zählt die Geschichte Sozialer Arbeit im 19. u. 20. Jahrhundert, insbesondere die NS-Zeit, die Sozialgeschichte des Aufwachsens sowie die Geschichte sozialer Bewegungen.
Kontakt: sven.steinacker(at)hs-niederrhein.de