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Anna - FB 02 - Tallinn/Estland

Anna war drei Monate lang für ein Praktikum in Tallinn. Dort haben sie nicht nur die Architektur und die Kultur begeistert.

Die drei Monate, die ich in Tallinn verbracht hatte, vergingen rückblickend wie im Flug und doch war dies für mich eine besonders prägende und eindrucksvolle Zeit, die ich in diesem Beitrag mit euch teilen möchte.


Nach meiner Ankunft am Flughafen von Tallinn war ich sehr überrascht von seiner geringen Größe: Es gab lediglich zwei Landebahnen und ein Gate für die Ankunft. In Estland dominiert der Fährverkehr gegenüber dem Flugverkehr und stellt das wichtigste internationale Drehkreuz Estlands dar. Auf dem Weg zur Unterkunft fuhren wir zunächst vorbei an großflächigen Firmensitzen und Shoppingzentren, hinein in einen dichten Wald moderner vollverglaster Hochhäuser. Während die unteren Geschosse einiger Gebäude mit einer landestypischen Holzhauskonstruktion begannen, setzten sich nach dem dritten Stockwerk, an dem man normalerweise eine abschließende Dachkonstruktion erwarten würde, kristallartige Glasgebilde weitere hundert Meter in die Höhe fort. Zwischen den Hochhausriesen fielen mir immer wieder schmuckvoll verzierte orthodoxe Holzkirchen auf, die im Schatten der Hochhäuser wie Miniaturen wirkten. An der nächsten großen Kreuzung lichtete sich plötzlich das Bankenviertel Tallinns, sodass man freien Blick auf die Altstadt hatte. Einen solch geballten Kontrast historischer Architektur auf so kleinem Raum wie in Tallinn, findet man nur selten.


Mein Praktikum habe ich bei dem Unternehmen Labora gemacht, das seinen Sitz unter den Dächern der Ukrainisch Griechisch-Katholischen Kirche an der Laboratooriumi Straße hat, von welcher sich auch der Name des Unternehmens ableiten lässt. Labora ist ein kleiner Familienbetrieb, der in seiner Tätigkeit die traditionelle Papierherstellung, Druckkunst und Kalligrafie vereint. Dabei wird der Erfahrungsschatz dieser Traditionen in den eigenen Werkstätten praktiziert und mittels Workshops weitervermittelt. Vor allem im heutigen überwiegend digitalisierten Zeitalter gewinnt diese Form der Druckproduktion erneute Wertschätzung.


Meine Projekte und Aufgaben bei Labora waren sehr abwechslungsreich. Von der Druck-vorlagenherstellung bis hin zur Produktion meines eigenen Druckprojektes hatte ich viele neue Erfahrungen machen können. Unter der Woche stand das Tor des Ukrainischen Kulturzentrums offen für Besucher aus aller Welt. So passierte es, dass ich gelegentlich Exkursionen für deutschsprechende Gruppen aber auch russisch oder englisch sprechende Besucher leitete. Dies stellte mich nicht nur regelmäßig vor neue sprachliche Herausforderungen, sondern ermöglichte mir zudem zahlreiche Menschen aus aller Welt kennenzulernen.


Innerhalb Tallinns kommt man mit der englischen Sprache sehr gut zurecht. Jedoch wird dies schwieriger sobald man sich weiter außerhalb begibt. Vor allem bei älteren Generationen konnte ich glücklicherweise von meinen verstaubten Russischkenntnisse Gebrauch machen. Die ukrainische Gemeinde bildet nach den Russen die drittgrößte Ethnie in Estland. Kulturell prallen in Estland, aber auch in anderen baltischen Staaten, die westliche und die östliche Welt aufeinander. Estland strebt ein modernes und sehr westlich geprägtes Image an. Dies merkt man ganz besonders an dem guten Mobilfunknetz. Man hat in der Regel überall – und sei es auch noch im tiefsten Moorgebiet – problemlos Internetzugang. Auch mit der Estonian ID Card gehört Estland zu einer der fortschrittlichsten Gesellschaft des digitalen Zeitalters. Nahezu alle relevanten Dienste sind somit in einer Karte vereint und jederzeit persönlich online abrufbar. Ich selber habe von der Estonian ID Gebrauch gemacht, um die öffentlichen Verkehrsmittel innerhalb Tallinns kostenfrei nutzen zu können.


Mein Praktikum dauerte von Anfang April bis Ende Juni und während in Deutschland schon im März alles blühte und grünte, musste ich in Tallinn bis Mitte Mai noch darauf warten. Die Temperaturen lagen anfangs zwischen -5 bis 5 Grad. Mitte Mai wurde es dann schlagartig Sommer und innerhalb von drei Tagen trugen alle Büsche und Bäume saftiges Grün, wodurch die Straßen kaum wiederzuerkennen waren. Durch Tallinns Lage am Meer sind die Temperaturen im Sommer vergleichbar mit denen an der Nordsee: In der Regel liegen sie zwischen 18 und 23 Grad. Mit Einzug des Sommers wurden die Tage immer länger. In der Zeit um den 24. Juni wird es praktisch gar nicht richtig Nacht. Deshalb finden vor allem in dieser Zeit in und um die Altstadt herum viele öffentliche Events statt.


Vor meiner Reise nach Estland hatte ich große Erwartungen an das Essen dort und wurde nicht enttäuscht: Denn die estnische Küche hat viele leckere und deftige Speisen zu bieten. Während der Mittagspause gab es zum Beispiel Hering mit Schmand und Zwiebel und dazu ein Rotebeetesalat und landestypisches Brot. Vor allem das estnische Schwarzbrot „Rukkileib“ ist sehr zu empfehlen. Ich hätte jedoch nicht gedacht, dass Lebensmittel preislich doch so teuer ist. Auch Hygieneartikel sind deutlich teurer im Vergleich zu Deutschland, während die Preise in Restaurants, Bars und Kneipen mit denen in Düsseldorf oder Köln vergleichbar sind.


An freien Tagen nutzte ich die Zeit, um so viel wie möglich von Estland zu erkunden. Selbstverständlich kann man von Tallinn aus mit der Fähre sehr gut auch andere Länder und Städte bereisen wie z.B. St. Petersburg, Helsinki, Stockholm oder Riga. Jedoch wollte ich mich bei meinen Erkundungstouren voll und ganz auf Estland konzentrieren. Mit der Railtrain kommt man sehr komfortabel für nur 11 Euro innerhalb ca. 2 Stunden zur östlichsten Stadt Narva. Aber auch Tartu – bekannt als „die Studenten-Stadt“ – ist sehr zu empfehlen. Als Student kann man dort im Trüki- Muuseum kostenfrei unterschiedliche traditionelle Druckmaschinen nutzen. Auch Pärnu ist wegen seiner wunderschönen Strände eine Reise wert. Darüberhinaus befinden sich in Estland diverse Nationalparks, die zum Schutze der einzigartigen estnischen Natur gegründet wurden. Der „Läänemaa Suursoo“ nahe Haapsalu oder aber der Lahemaa Nationalpark nicht fern von Tallinn hat beeindruckende Moorlandschaften zu bieten.


Mit dem Standort meiner Firma hatte ich großes Glück. Dadurch, dass die Firma im ukrainischen Kulturzentrum beherbergt war, konnte ich schnell sowohl zu den ukrainischen Gemeindemitgliedern als auch zu den Esten neue Kontakte knüpfen. Fast jedes Wochenende fanden Veranstaltungen statt, bei denen zusammen gekocht und gegessen wurde aber auch Konzerte im Innenhof gegeben wurden. Nach den drei Monaten habe ich die Menschen dort sehr lieb gewonnen, sodass ich sobald es mir möglich ist gerne wieder zurück komme.


Ich kann jedem sehr ans Herz legen, die Zeit während des Studiums zu nutzen, um eigene Erfahrungen im Ausland zu machen, denn die Eindrücke und Erlebnisse halten ein Leben lang.