Postmigrantische Audiovisionen sind Utopien von einer Migrationsgesellschaft, wie sie schon existiert. Der Wissenschaftshistoriker Michel Foucault hat solche realisierten Utopien mit dem Begriff der Heterotopien bezeichnet: den anderen Orten. Diesen Heterotopien, oder auch „Transtopien“ (Yildiz 2021), geht die gleichnamige Filmreihe nach. Die Filmreihe fragt so nach den Historien und Genealogien sowie dem Diskursrandständigen, das filmisch-ästhetische Entwürfe im deutschsprachigen Film abwerfen. Im Zentrum stehen so Filme, die sich entlang von diskursreißerischen Themenfeldern verorten lassen: rund um Migration, Rassismus, Islam, Antisemitismus, Rechtsextremismus. Doch sie erschöpfen sich nicht im Diskursiven. Vielmehr zieht jeder Film immer wieder neue Risse in unser Denken, Fühlen und Empfinden ein: in stabilisierte, machtvolle Hegemonien wie es die Integrationsdispositive oder das Rassistische ist; und manchmal reproduzieren die Filme jene Dynamiken durch ihre ästhetischen komplex fungierenden Entfaltungen.
Präsentiert werden Filme zu Themenkomplexen des postmigrantischen Zusammenlebens, aus einer Perspektive, die die Filme nicht von verknöcherten Diskursen heraus befragen will („Postmigrantische Visionen“, Hill und Yildiz 2018); vielmehr werden die Filme selbst als Gelegenheit betrachtet, andere, postmigrantische Perspektiven zu entwickeln: postmigrantische Audiovisionen eben. Gäste aus Wissenschaft, Film, Bildung und Politik werden das verhandelte Themenspektrum gemeinsam mit den Zuschauer:innen in Anschlussgesprächen an die Filmscreenings ausloten. Denn: Auch wenn diese Heterotopien in den Filmen existierbar gemacht werden, kann erst das Wahrnehmen und Sprechen über sie das Utopische in ihnen hervorkehren.

Almanya Acı Vatan - Germany, Bitter Homeland
(TR, 1979, 90 min, R: Şerif Gören, OmeU)
Einführung & Filmgespräch
Prof. Dr. Ömer Alkin, Medien- und Kulturwissenschaftler
Almanya Acı Vatan (Deutschland, Bittere Heimat) folgt dem Leben von Güldane und ihrem Mann Mahmut, die eine Scheinehe eingehen, um als Arbeitsmigrant*innen von der Türkei nach West-Berlin zu ziehen. Der Film verbindet komödiantische und melodramatische Elemente mit Sozialkritik und bietet einen intimen Einblick in das Leben türkischer Fabrikarbeiter*innen in West-Berlin aus der Perspektive der Arbeiter*innen selbst. Unter der Regie von Şerif Gören (1944-2024) wurde der Film von der türkischen Filmindustrie produziert und vertrieben.
Der Film wird gezeigt in der Filmreihe Transnational Filmmaking in Germany. Practices, Routes, Archives, welche sich mit den vielfältigen transnationalen Ebenen deutscher Filmgeschichte auseinandersetzt. In Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective präsentiert das Sinema Transtopia vier Abende mit Expert:innen, die jeweils eine andere Dimension transnationalen Filmschaffens in Deutschland zum Thema machen, etwa die türkische Filmindustrie, Filmschulen oder exilierte Filmemacher:innen. Für Almanya Acı Vatan kooperiert die Reihe mit den Postmigrantischen Audiovisionen. (Text, Kuration: Till Kadritzke und Carlos Kong)
Till Kadritzke ist Post-Doctoral Researcher an der FU Berlin, wo er zum Verhältnis von Film, Rassismus und Migration im Westdeutschland der 1970er und 1980er Jahre forscht.
Carlos Kong ist Doktorand in Kunstgeschichte an der Princeton University und in Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wo er zu postmigrantischen Perspektiven auf deutsch-türkische Migrationsgeschichten in der zeitgenössischen Kunst und im Film forscht.
Wann: 23.04.2025 um 20:00 Uhr
Wo: „SINEMA TRANSTOPIA“, Lindower Str. 20/22, Haus C, 13347 Berlin