Wie war es?
Mich für den chinesischen Doppelabschluss zu motivieren, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Zwar ist es nicht immer leicht aufgrund der fundamentalen kulturellen Unterschiede und der chinesischen Sprache, jedoch merkt man, wie man an seinen Herausforderungen wächst. Man lernt, sich trotz Hindernissen zu verständigen und vollkommen andere Denkweisen oder Angewohnheiten zu tolerieren. Gerade im interkulturellen Verständnis, beruflich wie auch gesellschaftlich, und im akademischen Bereich war das Auslandsjahr sehr lehrreich.
Wie muss man sich den Alltag vorstellen, wie ist das Studieren dort?
Der akademische Alltag im ersten Semester ist durch einen durchstrukturierten Studienplan mit offizieller Anwesenheitspflicht ziemlich voll. Lange Mittagspausen ziehen oft die Module bis in den späten Nachmittag oder Abend hinein und Blockkurse können auch zeitweise das Wochenende einnehmen. Durch einige Projekte, Case Studies und Präsentationen wird zudem auch Freizeit in Anspruch genommen.
Bis hierhin hört sich zwar alles sehr stressig an, jedoch verbringt man diese Zeit praktisch ausschließlich mit seinen Kommilitonen. Durch den Verbund als deutsche Klasse, mit welcher man auch im Wohnheim gemeinsam wohnt, verfliegt die Langeweile schnell und man lernt, alles gemeinsam und sehr viel einfacher zu überwinden. Viele haben auch an freiwilligen Sprachkursen oder Sportveranstaltungen teilgenommen. Durch das ausgewogene Programm gibt es genügend Variationen für jeden. Lediglich das Aufsuchen von Partys in der Innenstadt wirkt oft nervend durch den 90-minütigen Weg mit der Bahn.
Natürlich -wie es sich im Ausland gehört- mischt man sich unter das Volk. Leider ist das jedoch nicht immer ganz einfach, da sich nur wenige Chinesen trauen oder in der Lage sind Englisch zu sprechen. Dies gilt auf dem Campus sowie im Stadtzentrum. Meistens sind die Chinesen jedoch sehr zuvorkommend, wenn man etwas benötigt, und man kommt mit einer Übersetzungs-App trotzdem ans Ziel. Im Internationalen Wohnheim kommen auch viele Franzosen und Italiener dazu, wodurch Internationalität auch im Wohnheim wieder zu finden ist.
Wo und wie haben Sie gewohnt?
Die Tongji Universität bietet an, dass man entweder standardmäßig im internationalen Wohnheim oder im nahegelegenen externen Wohnblockhaus wohnt. Ersteres kostet um die 160€ mit 9 bis 16m² in einem Einzel- oder Zweierzimmer. Eine eigene möblierte 80m² Wohnung zu unterhalten liegt bei deutsche Preisen und erfordert den Kauf von einigen Sachen zusätzlich. Meiner Meinung nach knüpft man jedoch im Wohnheim besser deutsche wie auch internationale Kontakte und die vielen Freundschaften bereichern den Auslandsaufenthalt enorm.
Wie haben Sie die Menschen in China wahrgenommen?
Die Menschen in China sind prinzipiell sehr neugierig, gerade im Thema Ausländer. Denn durch die geringe Migration haben viele Leute nur selten, wenn überhaupt, Kontakt mit Ausländern. Dieses gilt gerade abseits der Großstädte. Leider muss man jedoch stets die Sprachbarriere überwinden, weil die Chinesen nur selten Englisch sprechen, in der Großstadt wie auch am Campus. Dementsprechend schüchtern verhalten sich die Meisten beim Aufeinandertreffen. Dennoch wenn die kulturellen Wiederstände erstmal überwunden sind, lernt man die Gastfreundlichkeit und das Zuvorkommen der Menschen zu schätzen. Dadurch öffnen sich relative schnell Türen zu großartigen Geschichten.
Ganz allgemein - was war Ihr persönliches Highlight?
Es ist sehr schwer nur ein persönliches Highlight aus dem Auslandsjahr herauszuziehen, aber die 1-monatige Reise durch den Norden Chinas zwischen den beiden Semestern war bis dahin mein erster Winterurlaub und ist definitiv unvergesslich für mich. Zusammen mit einer Kommilitonin sind wir durch verschneite Provinzen, unterschiedlichste Städte oder traumhafte Landschaften gereist, bis ins -35°C kalte Harbin zum internationalen Snow and Ice Festival. Neben den unzähligen, bis zu 40m hohen Schnee- und Eisfiguren, sind wir auch einer Einladung gefolgt, dem chinesischen Neujahr traditionell beizusitzen und mitzufeiern. Die tiefen, unterschiedlichen Eindrücke sind eine hervorragende Abwechslung gewesen zum sonstigen Eindruck und haben mein Bild von der Kultur sehr geprägt.
Gab es auch Schwierigkeiten?
Natürlich ist dieses neue Umfeld mit Schwierigkeiten verbunden. Außer der Kommunikation sind diese jedoch meistens eher imaginärer Natur. Gemeint ist, unser gewohnter bürokratischer Umgang weicht deutlich von dem chinesischen Alltag ab. Vorort macht man sich oft Panik, dass die Dokumente oder sonstigen Angelegenheiten nicht rechtzeitig eintreffen oder nur unzureichend geplant sind. Auch wenn dieses der Fall ist, werden wochenlange Prozesse auf einmal blitzschnell ausgeführt und man erkennt, dass die Angst umsonst war. Bei anderen Problemen findet man stets Beistand im Sekretariat oder bei spezifischen Ansprechpartnern, sodass man nie allein gelassen wird. Die einzige Schwierigkeit bei der niemand weiterhelfen kann, bleibt die Verbindung zum dringend benötigten VPN, welcher zwischendurch immer wieder von Ausfällen geplagt ist.
Konnten Sie reisen?
Durch den durchstrukturierten Studienplan mit einigen Blockkursen am Wochenende und einer offiziellen Anwesenheitspflicht fällt das Reisen im Semester meist schwer. Die Anwesenheit wird auch mehrmals im Semester überprüft. Man kann jedoch vereinzelt mit den Professoren offen sprechen und um eine Befreiung bitten um einen 3- oder 4-tägigen Trip einzuschieben. Sonst kann man die 6-wöchige Pause zwischen den Semestern von Mitte Januar bis März zum Reisen nutzen. Im Praxissemester kommt es auf die Konditionen vom Arbeitgeber an, aber eigentlich sind kleine 3-tägige Trips machbar und am Ende des Semesters ist sowieso genug Zeit vorhanden.
Ihr persönliches Fazit
Einer der ehemaligen Absolventen beschrieb seinen Aufenthalt wie folgt: „Shanghai ist wie ein Spiegel von einem selbst - wenn man Karriere machen möchte, findet man die Kontakte; wenn man in die Kultur eintauchen möchte, findet man Offenheit und Gastfreundlichkeit; wenn man einfach Spaß haben möchte, findet man jeden Tag Partys.“ Diesem schließe ich mich vollkommen an. Ich bereue es auf keinen Fall ein großartiges Jahr in China verbracht zu haben.